Alexander-Technik und Glück (Dan Armon 2010)

Alexander-Technik kann als indirekter Ansatz zur Problemlösung verstanden werden. Der direkte Ansatz, wie ihn die Schulmedizin nutzt, geht geradewegs auf Probleme, Krankheiten oder Fehlfunktionen zu und versucht sie zu lösen oder zu heilen. Die Alexander-Technik dagegen möchte lehren, wie man einem prinzipiellen Lebensproblem im Allgemeinen begegnet. Sie zeigt, wie dieses Lehren eine indirekte Wirkung auf all unsere individuellen Funktionen und Aktivitäten ausübt.

Die grundlegende Annahme dabei lautet: Es ist unmöglich, Geist und Körper in irgendeiner menschlichen Aktivität zu trennen. Das bedeutet, dass der Einfluss einer indirekten Herangehensweise gleichermaßen physisch wie geistig wahrgenommen werden kann. Das Lehren der Alexander-Technik macht es möglich, im Gebrauch unseres Selbst die faszinierende Beziehung zwischen der Macht der Gewohnheit und unserer potentiellen Freiheit zu beobachten: Die Gewohnheit, der wir unterworfen sind und die unser Verständnis von der Art und Weise, wie wir funktionieren, einschränkt – und die potentielle, hinter ihr verborgene Freiheit, die uns helfen kann, unsere Fähigkeiten zu erweitern und zu stärken. Alle unsere Fähigkeiten – auch jene, glücklich zu sein. Als Beispiel für das Glücklichsein nennt Alexander ein Kind, das seine ganze Aufmerksamkeit einzig dem Spiel widmet, welches es gerade spielt – ein Beispiel, das für die Alexander-Technik Glück definiert. Die Macht der Gewohnheit ist es, die unsere Fähigkeit begrenzt, ganz und gar in der jeweiligen Tätigkeit aufzugehen – gleich ob es sich um Sport, Musizieren oder ein anderes Tun handelt. Die Macht der Gewohnheit trennt uns von unserem „Spiel“. Wir scheitern darin, vollkommen da, ganz präsent zu sein. Wir sind uns dabei unserer tiefen Gewohnheit nicht gegenwärtig, da sie unsere Wahrnehmung und unser Verständnis von Ereignissen beeinflusst. Im Gegenteil: Diese Gewohnheitsmuster werden von uns als notwendig verstanden und angenommen, als vollkommen natürlich und richtig. Das wirklich „Richtige“ aber, der freie und natürliche Gebrauch des Selbst, bleibt außerhalb unseres Blickfeldes. Mehr noch, wir sind von unseren Gewohnheitsstrukturen abhängig und vertrauen ihnen blind, wenn es um unser Funktionieren geht. Das heißt aber auch: Wir verlassen uns auf den ureigentlichen Grund für unsere Begrenzung, scheitern darin – und leiden umso mehr. Die Alexander-Technik stellt ein Werkzeug dar, mit dessen Hilfe dieser Teufelskreis durchbrochenen werden kann. Sie zeigt, wie wir unsere gewohnheitsmäßigen Reaktionen Stück für Stück vermindern können und ermöglicht es, mit unserer potentiellen Freiheit in Kontakt zu kommen. Die Aufgabe liegt also im Innern: Wenn wir uns stärker dem freien Gebrauch unseres Selbst öffnen, können wir die Qualität beeinflussen, mit der wir uns in unsere Aktivitäten begeben. Und werden glücklicher. Indem wir uns selbst zum Subjekt machen – mittels einer Technik, die es ermöglicht, uns selbst als ein niemals endendes Wunder zu entdecken – erschaffen wir darüber hinaus einen inneren Raum für das Spiel. Wir selbst werden gleichzeitig zum Spielzeug in der Hand des Kindes und zum Kind, das sich selbst Spielzeug ist: Subjekt wird Objekt. Die einfachsten Handlungen wie Sitzen oder Stehen werden auf diese Art unendlich interessant und können unsere gesamte, sowohl intellektuelle wie körperliche Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen. Der so entstehende innere Raum macht unser Glück unabhängiger von äußeren Einflüssen – wir werden entspannter, was Erfolg und Misserfolg angeht. Wir gestatten der Technik, dem neuen Gebrauch von Körper und Geist, immer mehr in unser Leben und unsere Tätigkeiten einzufließen. Zu unserer Überraschung werden wir feststellen, dass wir so immer ungeteilter in unseren Aktivitäten aufgehen können und darin auch erfolgreicher werden. Durch die Jahrhunderte hindurch wurde immer wieder empfohlen, uns zuallererst mit uns selbst zu befassen: „Erkenne dich selbst“ war über den Eingang des Tempels in Delphi geschrieben, wo die Leute Rat für ihre Probleme suchten. Im fernen Osten entwickelten sich Meditationstechniken; dort war der innere Raum als Quelle von Stärke und Heilung bekannt. Als Patrick Macdonald Bücher über Zen las, entdeckte er Parallelen zur Alexander-Technik. Und in der Tat können wir die sie als einen weiteren Schritt der Erkundung unseres inneren Raumes auffassen. Die Alexander-Technik entstand als eine Reaktion auf die moderne menschliche Situation – und bietet essentielle Werkzeuge für jeden, der sich diesen inneren Raum wünscht. Gleichzeitig ermöglichen diese Werkzeuge dem Lehrer, seinem Schüler als Reflexionsfläche für dessen individuelle Arbeit an sich selbst zu dienen. Dabei bewegt sich diese Arbeit in einem klaren, professionellen Rahmen und hat keinerlei mythologischen oder religiösen Bezug: Sie beginnt wieder und wieder bei den einfachsten Handlungen des Lebens. Diese Arbeit spart die „großen Fragen“ aus, bezieht sich aber indirekt sehr wohl auf sie. Die meisten Menschen haben ein eher automatisches und unbewusstes Verhältnis zum Gebrauch des Selbst, und unsere gesellschaftliche Prägung unterstützt dies. Wir verlieren das Interesse daran, „wie“ wir etwas tun, und wir verlieren unsere Sensibilität dem gegenüber. Wir finden keine Befriedigung in den einfachsten Dingen und jagen deshalb aufregenderen Reizen hinterher. Der innere Raum wird monoton und uninteressant – bis zu dem Punkt, an dem wir unglücklich sind. Da wir uns unseres begrenzten und sogar falschen Wissens über den Gebrauch des Selbst nicht bewusst sind, hören wir auf ihn zu erforschen. Und verhindern inneres Wachstum.